Neue Technologien und ihre Auswirkungen auf die Versicherungsindustrie
Der technologische Umbruch ist für die Top-Führungskräfte der Versicherungsbranche kein neues Thema. Schon 1995 erklärte Clifford C. Duever, Regional Vice President beim Versicherungsunternehmen Safeco, dass die potenziellen Auswirkungen von Technologie auf die Versicherungsindustrie nahezu unbegrenzt seien - und dass in Zukunft jeder von diesen Technologien betroffen sein werde (Gilbert, 1995).
Zu Beginn des technologischen Zeitalters bauten Versicherungsunternehmen ihre eigenen IT-Systeme auf, von denen einige nun bereits mehr als 30 Jahre alt sind. Jessica Reid von der Insurance Times schrieb 2013 einen äußerst interessanten Artikel über IT-Altsysteme. Sie beleuchtete das Thema, indem sie Technologie mit einem Automotor verglich: Zum Werterhalt sei  eine regelmäßige Wartung unerlässlich, aber selbst bei guter Pflege und regelmäßigen Updates  weisen neuere und schnellere Modelle irgendwann eine bessere Leistung auf. Darüber hinaus führten Übernahmen und Fusionen auf dem Versicherungsmarkt dazu, dass die IT-Abteilungen neben dem Erhalt ihrer Altsysteme zusätzlich vor eine Vielzahl komplexer Herausforderungen gestellt wurden.

Hinzu kam, dass die Versicherungsunternehmen anderen operativen Bereichen eine höhere Priorität einräumten, als die Technologieinfrastruktur voranzutreiben. Gemäß der 2015 von Ernst & Young durchgeführten Umfrage „Business Pulse“ wird Regulierung – 2013 noch auf Platz zwei – inzwischen als Hauptrisiko für Versicherungsunternehmen eingestuft. In der gleichen Umfrage rückte die Innovation von Geschäftsmodellen von Platz 13 im Jahr 2013 jetzt auf Rang 10.

Die wichtigsten Triebkräfte für den Wandel in den kommenden drei bis fünf Jahren werden entsprechend des „Insurance Industry Outlook Survey 2014“ von KPMG Kundenbedürfnisse (d. h. Veränderungen in Kundenorientierung, Kaufverhalten und Kaufpräferenzen), technologische Veränderungen und inländische Konkurrenz sein. Die Studie von KPMG bezeichnet Kundenwünsche sowie technologische Veränderungen und Inlandskonkurrenz als die drei wichtigsten Triebkräfte für den Wandel in den kommenden drei bis fünf Jahren. Neben einer Zunahme der M&A-Aktivitäten brachten diese Erkenntnisse der Umfrage den Titel „Revolution, not evolution“ ein.

Revolution setzt einen technologischen Umbruch voraus, wie sich in vielen Branchen weltweit gezeigt hat, so beispielsweise auch bei Uber, Inc. Das 2010 gegründete Unternehmen Uber konnte 2015 laut Reuters (21.08.2015) einen Jahresumsatz von über 10 Mrd. US-Dollar erzielen. Aber noch einmaliger ist, dass Uber dieses Wachstumsniveau ohne eine einzige Übernahme erreicht hat. Bei einem Umbruch öffnet sich der Markt unweigerlich für Neueinsteiger. Dies wurde auch im PwC-Bericht „Insurance 2020“ hervorgehoben, erschienen unter dem Titel „The digital prize - taking customer connection to a new level“. Aggregatoren sind ein historisches Beispiel dieses Risikos im Bereich Privatkundenversicherung in Großbritannien. Nach nur zehn Jahren kontrollieren Aggregatoren heute 60 % der Neukäufe bei Kfz-Versicherungen und 50 % bei Privatversicherungen (Timetric, 2014).

Zu einem gewaltigen Umbruch kam es 2013 nach dem Joint Venture von Ping An, einem chinesischen Versicherungsunternehmen, und Tencent, einer führenden Plattform für soziale Netzwerke und E-Commerce, auf dem Versicherungsmarkt in China. Im ersten Jahr erzielte das Joint Venture durch die Gewinnung junger Neukunden einen Umsatz von 740 Mio. Chinesischen Yuan Renminbi (ca. 77 Mio. Britische Pfund). Für 2018 plant das Joint Venture nun den Börsengang (Marbridge Consulting, 2015).

Eine Schlussbemerkung aus dem PwC-Bericht zeigt die Hauptmotivation für diese Arbeit über die Entwicklungen der Versicherungsindustrie für Privat- und Geschäftskunden: „Wenn Kunden immer besser informiert sind, anspruchsvoller werden und schneller bereit sind, den Anbieter zu wechseln,  wird es immer wichtiger, einen echten Mehrwert zu liefern.“

Dies ist mehr als offensichtlich, aber dennoch scheint in der Versicherungsbranche beim Experimentieren mit neuen Technologien die Angst vor dem Scheitern groß zu sein. Diese Angst des Scheiterns wurde von McKinsey 2011 in einer Dokumentation hervorgehoben und beruht auf der Tatsache, dass Versicherungsunternehmen ihre Geschäftsgrundlage – wie beispielsweise das Vertrauen in Produktangebote und eine starke Bindung zwischen Versicherer und Kunden – nicht beschädigen wollen (Martinotti et al., 2011).

Ein Beispiel ist die Kfz-Versicherung. Derzeit ist ein Umbruch im Bereich Telematik (Blackbox) zu beobachten, und die Versicherer versuchen, dies bei der Gestaltung ihrer Produktangebote zu berücksichtigen. Aber innovative Versicherungsunternehmen gehen bei ihren Angeboten noch einen Schritt weiter und bieten dem Kunden einen Mehrwert, indem sie dem Produkt zusätzliche Elemente, wie beispielsweise Verkehrswarnmeldungen, hinzufügen.

Die 2014 von Accenture durchgeführte Umfrage „Digital Innovation“ sowie die Studie „Swiss Re Sonar – New emerging risks insights“ aus dem Jahr 2015 deuten darauf hin, dass Veränderungen und neue Risiken zukünftig eine wichtige Rolle in der Versicherungsbranche spielen werden. Diese erfordern neben vorausschauendem Handeln und angemessenem Umgang schnelle, hochqualitative Entscheidungsfindung. Bei der Umfrage „Digital Innovation“ geht es insbesondere um die Wertschöpfungskette von Versicherungen sowie darum, dass eine radikale Ausweitung in diesem Bereich der Schlüssel für zukünftigen Erfolg ist. Die Umfrage kommt darüber hinaus zu dem Schluss, dass Versicherungsunternehmen in den kommenden Jahren mehr als 40 Mio. US-Dollar in digitale Projekte investieren werden.

Die Herausforderungen, die das „Internet der Dinge“ (Internet of Things, IoT) mit sich bringt, bergen  laut der Swiss Re-Studie ein hohes Risiko. Bis 2020 werden fast siebenmal mehr Geräte als Menschen „connected“, also angeschlossen sei. Dies veranschaulicht das Ausmaß und Potenzial damit einhergehender großer Datenmengen. Die detaillierten Erkenntnisse, die Versicherer durch solche Datenmengen gewinnen können, werden alle Abteilungen eines Versicherungsunternehmens tiefgreifend beeinflussen. Noch kritischer ist jedoch das Risiko für Versicherer, wenn sie nicht in der Lage sind, aus derartigen Datenmengen einen Nutzen zu ziehen.

Ein Hauptrisiko für Versicherer liegt im Potenzial des IoT, den Versicherungsmarkt für Neueinsteiger in Form großer Technologieunternehmen, wie beispielsweise Google, attraktiv zu machen. Diese Unternehmen haben keine Probleme mit Altsystemen und verfügen über Plattformen, mit denen sie riesige Mengen an Kundendaten sammeln können.

Weitere Risiken treten bei der Entwicklung von Plattformen auf, die sich das IoT zu Nutze machen können. So muss ein Versicherer beispielsweise berücksichtigen, dass jedes mit dem Internet verbundene Gerät ein potenzieller Türöffner für Angreifer ist, die versuchen in die Systeme einzudringen. Um sich vor diesem Risiko zu schützen, ist entsprechende Vorbereitung ebenso erforderlich wie Sorgfalt bei der Konzipierung geeigneter Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen.

Auch können tragbare Technologien und die daraus generierten großen Datenmengen Versicherern bei der Produktentwicklung, der Preisgestaltung und in vielen anderen Bereichen Hilfestellung leisten. Tragbare Technologien, so genannte wearables, sind „elektronische Miniaturgeräte, die unter oder an der Kleidung getragen und irgendwie mit dem Körper verbunden sind” (Johnson, 2015). Sie haben das Potenzial, im Zeitraum von drei bis fünf Jahren einen Wandel in der Versicherungsbranche hervorzurufen (Flinders, 2015).

Tragbare Technologien ermöglichen zudem eine bessere Datenanalyse und gewähren einem Versicherer bessere Einblicke in das Kundenverhalten. Damit besteht für Versicherer die Möglichkeit, vom faktenbasierten Underwriting auf verhaltensorientiertes Underwriting umzusteigen. Damit kann  das Risiko individuell anhand des Kundenverhaltens und nicht aufgrund einfacher Fakten, wie z. B. Geschlecht, Alter, Postleitzahl usw. bestimmt werden. Ein erfolgreicher Versicherer kann hier einen größeren Risikopool erlangen und den Kunden an den dadurch erzielten Gewinnen teilhaben lassen.

Laut des Accenture Technology Vision Insurance Reports aus dem Jahr 2015 glauben 63 % der Befragten, dass tragbare Technologien innerhalb der nächsten zwei Jahre verstärkt zum Einsatz kommen, wobei 31 % schon jetzt tragbare Technologien beim Kontakt mit Kunden, Mitarbeitern oder Partnern nutzen. Darüber hinaus betrachten 73 % ein individuelles Kundenerlebnis als eine der drei wichtigsten strategischen Prioritäten, und 50 % geben an, durch Investition in personalisierte Technologien bereits positive Auswirkungen und Ergebnisse erzielt zu haben.

Trotz der vielen Möglichkeiten von tragbaren Technologien muss ein Versicherer auch die damit  verbundenen Risiken in Betracht ziehen. 2015 veröffentlichte Zurich einen Bericht, der die drei größten Risiken nannte, denen Versicherer in Bezug auf tragbare Technologien ausgesetzt sind. Im Vordergrund stehen Unterversicherung, Datensicherheit und der Verlust personenbezogener Daten. Mit dem Anwachsen großer Datenmengen, über die Versicherungsunternehmen durch die Einführung neuer technologischer Plattformen verfügen, müssen sie sicherstellen, dass ihre Systeme eine erhöhte Sicherheit aufweisen.

Sollten Sie weiterführende Informationen wünschen, so kontaktieren Sie bitte Ihren Ansprechpartner vor Ort.




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